Die Kultur, die Katzen und der Koch

Der prominente Autor und Koch Beppe Bigazzi hat in der italienischen Kochsendung La Prova del Cuoco eines der größten Tabus unserer Kultur gebrochen, indem er die Möglichkeit zum Verzehr von Katzen erwähnte.

Er habe in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts des öfteren Katzenfleisch gegessen, in der Toscana, vor allem im Gebiet um das Valdarno, sei das Katzenkochen althergebrachte Tradition. Ihm persönlich schmecke Katze besser als Huhn oder Kaninchen.

Die erste, die sich angesichts dieser Äußerungen unwohl fühlte, war Elisa Esoardi, die Moderatorin der Sendung, anscheinend selbst Besitzerin einer Katze namens Othello. Der Gedanke an eine Katze im Kochtopf löste bei ihr sichtliche Dissonanz aus.

Wie zu erwarten folgte eine Welle der Empörung. Zuschauer der Sendung (in der Bigazzi seit zehn Jahren täglich auftritt), Internet-User, Politiker und die unvermeidbaren Tierschutzorganisationen übertrafen sich gegenseitig beim Verurteilen der Äußerungen und beim Beleidigen der Person Bigazzis. Der Sender Rai Uno suspendierte Bigazzi sofort (ob der Sender denn nun ein Problem mit bestimmten Tieren oder doch mit seinen Moderatoren habe, wollte auf Anfrage von Spiegel Online bei Rai Uno niemand beantworten).

Carla Rocchi, Präsidentin des Tierschutzverbandes ENPA, begrüßte die schnelle Reaktion des Senders. Sie unterstellte dem „Kretin“ Bigazzi Anstiftung zu Straftaten, denn Leib und Leben von Katzen seien in Italien gesetzlich geschützt, sowie Geistesarmut, denn in öffentlichen Medien „kulturelle Kategorieren zu ignorieren“, sei „einfach dumm“. In unseren Breitengraden esse man „seinen besten Freund und Lebenspartner nicht einfach auf – und damit basta.“

Aus meiner Sicht hingegen ist es durchaus an der Zeit, über kulturelle Kategorien hinwegzusehen. Wir sollten uns nicht nur fragen, warum wir solchen Kategorien gemäß handeln, sondern auch, worauf sich diese begründen und ob diese Gründe unser Handeln letztendlich rechtfertigen können.

Wenn du – so wie ich – Einwände gegen die Verarbeitung von Katzen zu Nahrung hast, überlege dir bitte, woraus diese Einwände bestehen. Vielleicht fällt dir als erstes auf, dass wir in Europa einfach nun mal keine Katzen essen, sondern als Haustiere halten. Vielleicht hast du einmal eine überfahrene Katze am Straßenrand liegen sehen und dich beinahe übergeben, womit dann für dich etwaiger Katzenverzehr für alle Zukunft ausgeschlossen war. Vielleicht lebst du oder dein Nachbar mit einer Katze zusammen, wodurch du die Erfahrung gemacht hast, dass Katzen fühlende Individuen sind, welche Angst und Freude, Schmerz und Zuneigung empfinden und ausdrücken können, und allein diese Erfahrung verbietet es, solch ein Individuum zu töten, nur weil es gut schmeckt.

Vielleicht aber lebst du vegan, hast Einwände gegen die Tötung von Katzen, weil du Einwände gegen die Tötung eines jeden empfindungsfähigen Tieres hast. Dann interessieren dich kulturelle Kategorien nicht, es spielt keine Rolle, ob Chinesen Katzen, Europäer hingegen Schweine essen oder umgekehrt. Du bist Teil einer eigenen Kultur, welche die grundsätzlichen Interessen aller Lebewesen ernst nimmt und nicht nur vorgibt, dies zu tun. Du nimmst Leid und Tod nicht in Kauf, nur um deinem Gaumen zu schmeicheln. Du vermeidest das Vermeidbare.

Wenn du noch nicht vegan lebst, frage dich bitte, welcher Unterschied zwischen Schweinen und Katzen die jeweilige Behandlung durch den Menschen für dich persönlich rechtfertigt. Essen wir Schweine, weil es unsere Kultur so diktiert? Essen wir sie, weil wir sie nicht täglich in ihrem gesamten Spektrum an Empfindungen vor Augen haben? Oder essen wir sie einfach nur deshalb, weil sie Schweine sind und keine Katzen?

Können wir die gemeinsamen Interessen von Katzen und Schweinen an Leben, Freiheit und Unversehrtheit ungleich behandeln, indem wir einfach unsere Kultur als Begründung vorschieben? Wenn wir glauben, dass es moralisch falsch ist, Katzen zu Genusszwecken zu töten, welche triftige Entschuldigung haben wir, wenn wir dies Schweinen antun?


Veröffentlicht am 21. Februar 2010