Hunde weg vom Rattengift!

Auf Webseiten wie Giftköder-Alarm.de werden beinahe täglich neue Meldungen über von Unbekannten ausgelegte Köder veröffentlicht. Dabei handelt es sich zum Beispiel um mit „Rattengift“ versehene Fleischzubereitungen wie Hackbällchen oder Leberwurst, die allem Anschein nach von Menschen in der Absicht ausgelegt werden, willkürlich einen Hund oder eine Katze zu töten.

Was zu erwähnen sich eigentlich erübrigt: Das absichtliche Töten eines Hundes (oder einer Katze) gilt in Westeuropa als unmoralisch (es sei denn, der entsprechende „Halter“ verfügt über einen „guten Grund“ und wünscht daher die Tötung). Das heißt, es besteht innerhalb unserer Kultur darüber überwiegend Konsens, dass es schlichtweg falsch ist, das Recht eines Hundes auf Leben und Unversehrtheit zu verletzen, wenn das Motiv „Boshaftigkeit“ oder „Vergnügen“ (etwa am Geschmack seines Muskelgewebes) lautet.

Vom Kindesalter an lernen wir, dass Hunde keine Dinge sind, dass sie Respekt verdienen, einfach weil sie fühlende Wesen sind. Wir sind sogar für ihr Wohl verantwortlich, weil wir sie überhaupt erst auf diese Welt gebracht haben, damit sie einem oder mehreren Menschen als Freund und Begleiter dienen. Wir stellen (im Idealfall) unseren Tagesablauf zu Gunsten des Hundes um, geben große Mengen Geld für Nahrung, „Zubehör“ und Arztrechnungen aus und versuchen stets, den kleinen und großen Bedürfnissen des Hundes angemessen gerecht zu werden.

Dies alles geschieht jedoch nicht, weil wir einmal gelernt haben, dass vor uns ein Exemplar der Spezies Hund steht, und dass es Gesetze gibt, nach denen wir aufgrund einer etwaigen Misshandlung eines Exemplars dieser Spezies bestraft würden. Vielmehr erkennen wir in „unseren“ Hunden die Persönlichkeit; die regelmäßige Begegnung mit ihnen zwingt uns, das Individuum anstelle der Art zu sehen. Wer mit einem Hund zusammenlebt, dem bietet sich täglich der Beweis, dass Hunde körperlichen Schmerz, Angst und Freude empfinden und ausdrücken können. Sie genießen die Sonne und die Bewegung, erforschen, spielen und faulenzen. Wer seinen Hund respektiert, tut dies nicht, weil er es mit einem Tier einer bestimmten Spezies zu tun hat, sondern weil er anerkennt, dass dieses Tier ein grundlegendes Interesse an der Respektierung seiner Bedürfnisse hat, ohne Rücksicht auf seine Artzugehörigkeit. Mit anderen Worten: Wir fügen „unseren“ Hunden keine Schmerzen zu, weil wir wissen, dass sie ein Interesse daran haben, keine Schmerzen zu spüren. Allein die Empfindungsfähigkeit des Hundes stellt bereits einen ausreichenden Grund dar, ihn in unsere ethischen Betrachtungen miteinzubeziehen.

Analog dazu erkennen die meisten von uns die Menschenrechte nicht deshalb an, weil die Rechteinhaber spezielle Codesysteme zur Kommunikation benutzen, sich selbst im Spiegel erkennen können oder weil der Name ihrer Spezies mit H beginnt. Grundrechte für Menschen werden akzeptiert, weil wir wissen, dass jeder Mensch Interessen hat, die wir als ausreichend fundamental ansehen, um sie bedingungslos zu schützen. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben nicht von einem anderen Menschen beenden lassen zu müssen. Jeder Mensch hat das Recht, nicht von einem anderen Menschen in seiner geistigen und körperlichen Freiheit eingeschränkt zu werden. Jeder Mensch hat das Recht, nicht das Eigentum eines anderen sein zu können. Diese Rechte geben wir uns, weil dadurch die grundlegenden Interessen eines jeden Menschen geschützt werden. Die Menschenrechte sind nicht abhäng von unserer relativen Position zu anderen Spezies, es spielt keine Rolle, ob wir Menschen anderen Arten hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft überlegen sind oder ob es irgendwo da draußen eine uns in diesen Eigenschaften überlegene Spezies gibt: Die Grundrechte für Menschen orientieren sich an dem, was hierfür wesentlich ist: Die grundsätzlichen Interessen und Bedürfnisse der Menschen.

Und während wir Hunden zu großen Teilen ähnlichen Interessenschutz zukommen lassen, ignorieren wir die selben Interessen bei Individuen anderer Arten. So sehr ich niemandem einen Vergiftungstod wünsche, so sehr ich hoffe, dass Projekte wie die Giftköder-Warnseite im Internet möglichst viele Leben retten, so sehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass das Töten von Tieren, die keine Hunde oder Katzen sind, offensichtlich keinerlei Bedenken hervorruft.

Betrachten wir das mit „Rattengift“ präparierte „Hackfleischbällchen“, fallen neben dem potentiellen Opfer noch weitere Rollen auf: Die Ratte, zu deren Vernichtung das Gift explizit hergestellt und verkauft wurde, und die Tiere, aus deren gewaltsam zu Tode gekommenen Körpern der Köder geformt wurde.

Auf den Webseiten der Hundefreunde wird kein Wort darüber verloren, ob das absichtliche und nicht notwendige Töten von Ratten, Rindern und Schweinen nicht ebenso moralisch verwerflich ist wie das absichtliche und nicht notwendige Töten von Hunden (das selbe Phänomen ist im größeren kulturellen Kontext zu beobachten und wurde von Gary Francione als unsere „moralische Schizophrenie“ gekennzeichnet).

Ratten gelten als „Schädlinge“ und Rinder als „Nutztiere“, deshalb scheint ihre Vernichtung bzw. Ausnutzung allein schon durch ihre Namen gerechtfertigt. Aber so wie wir Menschen nicht versklaven sollten, weil sie ein sehr starkes Interesse daran haben, nicht versklavt zu werden (und nicht primär, weil sie Menschen und nichts anderes sind), müssen wir bei der Koexistenz mit anderen Tierarten die Interessen der jeweiligen Individuen in Betracht ziehen und nicht primär deren Spezies.


Veröffentlicht am 30. Mai 2010