In Wohnungen und Ställen

Der Deutsche Tierschutzbund informiert auf seiner Website und in Broschüren über das Krankheitsbild „Animal Hoarding“ oder „Tierhorten“. Davon betroffene Menschen „sammeln“ aus unterschiedlichen Gründen Tiere in ihren Wohnungen oder auf ihren Grundstücken, und zwar „mehr als die durchschnittliche Anzahl (in Deutschland bis ca. drei Hunde, ca. drei bis vier Katzen, ca. fünf Nager etc.)“. Die Tiere leiden in vielen Fällen unter anderem an Platzmangel, fehlender Hygiene und unbehandelten Krankheiten. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe versucht seit 2008 über das kaum erforschte Problem in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit aufzuklären und Lösungen zu erarbeiten.

Der Tierschutzbund sieht hier (genauso wie ich) ein Problem, weil empfindungsfähige Tiere keine Sachen sind. Wer Münzen sammelt und diese auf engstem Raum verstauben lässt wird für gewöhnlich nicht mangels Empathie, Sittenhaftigkeit oder Verantwortungsbewusstsein zur Rechenschaft gezogen. Münzen haben keine Interessen oder Bedürfnisse. Wir sehen keinen Anlass für ein Münzschutzgesetz oder einen Münzschutzbund.

Viele Tiere hingegen haben sehr schwerwiegende Interessen und Bedürfnisse, und die allermeisten Menschen scheinen sich dessen durchaus bewusst zu sein, andernfalls gäbe es keine ausgefeilten Schutzgesetze, keine millionenschweren Schutzorganisationen, keine beschwichtigenden „Aus artgerechter Haltung“-Siegel und keinen tausendfachen Protest, sei es gegen „Hundeschmuggel“, „Robbenschlachten“ oder „Legebatterien“.

Die tiefgreifendste, wirkungsvollste und längstfristig wirkende Maßnahme gegen Tierqual von Menschenhand ist die breite Aufklärung darüber, dass Tiere keine Objekte sind, welche nach Belieben gekauft, gehalten, verkauft oder vernichtet werden können. Die Botschaft, welche den größten Teil der tierschutzrelevanten Probleme lösen kann, lautet: Empfindungsfähige Tiere sind Personen und keine Sachen, allein deshalb können sie keines (anderen) Menschen Eigentum oder Ressource sein, sondern besitzen vielmehr das Recht, ihr Leben selbstbestimmt zu leben, ohne Begrenzung durch (andere) Menschen in Raum oder Zeit. Wenn du die Interessen aller Tiere wirklich ernst nehmen willst, dann hast du gar keine andere Wahl als vegan zu werden. Und das Beste daran: Es ist so einfach – auf theoretischer wie praktischer Ebene.

Stattdessen propagiert der Deutsche Tierschutzbund auf seiner Website und in Broschüren die artgerechte Haltung [sic], den tiergerechten Transport [sic] und die schonende Schlachtung [sic] anderer Tiere. Der Bund erklärt somit die Gefangenhaltung, die Verfrachtung und die Ermordung unschuldiger Individuen ausdrücklich zum Ziel seiner Bestrebungen. In seinem Sonderdruck von du und das tier gibt er den gewissenhaften Verbraucherinnen und Verbrauchern Tipps für den „Tierschutz im Einkaufskorb: Wie Sie im Alltag Tieren helfen können“. Dort wird eingangs kurz aber richtig erkannt, dass der Verzicht auf tierische Produkte der konsequenteste Weg zum Schutz der Tiere bleibe, auf den übrigen sechs Seiten widmet sich die Redaktion allerdings ausschließlich dem inkonsequenten Weg und erklärt (teils mit Hilfe widersprüchlicher Angaben), welche Haltungsbedingungen schlecht, besser und gut für die gefangenen und zu tötenden Tiere seien, wobei das vom Tierschutzbund mitbegründete Neuland-Siegel besonders hervorgehoben wird.

Nun sind Öko- oder Bio-Tierwirtschaftsbetriebe alles andere als schöne Orte zum Leben. Sogar für Neuland-Höfe gilt, was der Tierschutzbund eigentlich nur der industriellen Massentierhaltung unterstellt: Es soll möglichst viel möglichst billig produziert werden. Nur eben unter „besseren“ Bedingungen.

Und was sich wie ein Rundgang durch einen Bio-Tierhaltungsbetrieb (Beispiele 1, 2, und 3) anhört –

… es leben für das vorhandene Platzangebot zu viele Tiere in den Räumlichkeiten bzw. auf dem Gelände, der hygienische Zustand des Geländes ist bedenklich (Kot/Urin auf dem Boden, mit Fäkalien deutlich verschmutzte Käfige, überweidete verschlammte Weideflächen), die Tiere sind krank und werden trotz bestehender gesundheitlicher Beschwerden nicht nachweislich tiermedizinisch versorgt, der Pflegezustand der Tiere ist bedenklich (verkotetes und/oder verfilztes Fell, Ohrenentzündungen, Ungezieferbefall) …

– sind Auszüge aus der Checkliste für die Identifikation von Tierhortungsfällen.

Ist dem Tierschutzbund nicht bewusst, dass die Symptome des „Animal Hoarding“ aussehen wie der Alltag in Bio-Tierhaltungsanlagen? Warum sonst sollte er eine Arbeitsgruppe zur Verhinderung des ersteren gründen und der Bevölkerung die finanzielle Unterstützung des letzteren empfehlen? Ergibt es einen Sinn, gegen die Gefangenhaltung von Tieren als Folge einer Sucht und gleichzeitig für die Gefangenhaltung anderer Tiere zur Produktion absolut unnötiger Konsumgüter zu arbeiten?

Oder sind Hunde und Katzen doch einfach ein wenig gleicher als Schweine und Hühner?


Danke an Gerborg Glanz für den Hinweis.


Veröffentlicht am 1. Dezember 2010