Wir sind alle Michael Vick

Der Ed Block Courage Award wird jedes Jahr an je einen Spieler aus allen Teams der US-amerikanischen National Football League verliehen. Die Auszeichnung wurde von einer Stiftung ins Leben gerufen, um auf die Situation vernachlässigter und misshandelter Kinder aufmerksam zu machen. Ihre Träger „werden Botschafter der Courage für Opfer von Missbrauch, Gewalt und Verwahrlosung“.

Einen der Awards, die Ende letzten Jahres verliehen wurden, erhielt Michael Vick, Quarterback der Philadelphia Eagles. Dieser spielte erst seit vier Monaten wieder in der NFL, weil er die vorausgehenden 20 Monate wegen Missbrauch von und Gewalt an Hunden im Gefängnis verbracht hatte.

Es folgten Proteste gegen die Verleihung des Preises an Michael Vick. Der Mann, der zuließ und forderte, dass sich Tiere zu seinem Vergnügen gegenseitig zerfleischten, sollte mit einer Auszeichnung bedacht werden, die im Zeichen der vorbildlichen Gewaltlosigkeit steht?

Im Juli 2007 war Vick wegen der Durchführung und Förderung illegaler Hundekämpfe angeklagt und nach seinem Geständnis am 24. August auf unbestimmte Zeit von der Liga suspendiert worden. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis unterschrieb er im August 2009 bei den Philadelphia Eagles einen Einjahresvertrag mit Verlängerungsoption.

Es folgten Proteste gegen Vicks Comeback in der NFL. Der Mann, der nicht mehr leistungsfähige Tiere durch Elektroschocks umbrachte, sollte seiner Rolle als sportlich-faires Vorbild weiterhin gerecht werden?

Ein moralischer Doppelstandard allererster Güte: Dort der perverse Hundekampfliebhaber, welcher lachend an der Grube sitzt und zu seinem Vergnügen die Qualen und den Tod unschuldiger Tiere in Kauf nimmt, hier der anständige Schweinesteakliebhaber, welcher lachend am Grill sitzt und zu seinem Vergnügen die Qualen Unschuldiger ebenso gedankenlos duldet.

Um die Basis solcher Einstufungen aufrecht erhalten zu können, müssen wir dem Leid und Tod anderer Tiere eine kleinere Bedeutung zuweisen als dem Leid und Tod von Hunden. Kampagnen für den Boykott der Eagles und der gesamten NFL aufgrund Vicks Comeback zeigen dies in exemplarischer Weise: Die NFL besteht aus 32 Teams, und bei jedem Spiel sind ununterbrochen 22 Spieler auf dem Feld, die Schuhe aus der Haut toter Tiere tragen. Der Ball, Mittelpunkt eines jeden Spiels, besteht aus der Haut eines toten Tieres.

Die Zuschauer auf den teilweise über 100 000 Plätzen eines jeden Stadions kaufen Tonnen von Hot Dogs, Hamburgern, Pizzastücken, Milchshakes und Eiscreme, deren Herstellung ohne den Tod unschuldiger Tiere nicht möglich war. Tiere, die keine anderen Qualen erlitten als Vicks Hunde, und deren Tod genauso unnötig war. Tiere mit vergleichbarer Intelligenz und ausgeprägtem Sozialverhalten, welche die gleichen Interessen und Bedürfnisse teilten wie Vicks Hunde.

Bereits lange vor mir beschrieb der Rechtsprofessor und Tierrechtsautor Gary Francione dieses konkrete Symptom unserer moralischen Schizophrenie unter anderem in der Philadelphia Daily News und in einem Audiokommentar:

My point is that we are morally schizophrenic because we make dog fighting illegal, but treat eating animals, hunting them, or using them in rodeos as legal and “normal”. The fact that we act in such a confused way is not a justification for acting in a confused way.I stand by what I said: We are all Michael Vick. We must recognize that our criticism of him is a criticism of ourselves and of the suffering and death of animals that we all cause and for which we are all morally responsible.

Wenn wir erkennen, dass wir moralische Verpflichtungen gegenüber anderen Tieren haben, was für einen Grund haben wir, um uns dabei auf Hunde und Katzen zu beschränken? Wenn wir der Meinung sind, dass Hunde nicht missbraucht und getötet werden sollten, aus welchen Gründen sind wir dieser Meinung, und warum lassen wir diese Gründe nicht auch bei ähnlichen Tieren gelten?


Veröffentlicht am 23. März 2010