Hasen und insbesondere Kaninchen nehmen innerhalb unseres Kulturkreises eine Sonderstellung ein: Wir schätzen sie als „Heimtiere“ und als „Fleischlieferanten“ gleichzeitig. Generell scheint es so, als hätten wir uns sehr genau festgelegt, was das Essen der Körper anderer Tiere betrifft. Nach den Standards, mit denen wir aufgewachsen sind, besteht ein moralisch bedeutsamer Unterschied zwischen dem Töten und Essen eines Hundes (einer Katze, eines Hamsters) und dem Töten und Essen einer Kuh (eines Schweins, eines Huhns). Während die Tiere der einen Gruppe uns als Freunde und Gefährten dienen, bringen wir die Individuen der anderen Gruppe auf die Welt, um sie umzubringen und zu essen.
Nur bei den Kaninchen kommt Verwirrung auf: Sind sie da, um von uns sportsmännisch erschossen zu werden, um von uns gehegt und gehätschelt, gezüchtet und zur Schau gestellt, oder doch, um als wohlschmeckendes Stück Leiche unsere Gaumen zu verwöhnen? Sind sie unsere Lieblinge oder unsere Beute? Oder sind sie in Wirklichkeit Personen und keine zu verwendenden Objekte, existieren sie etwa gar nicht für uns Menschen, sondern für sich selbst?
Bei so viel Unklarheit darüber, wie unsere Kultur diese andere Spezies positionieren soll, können Fälle nicht ausbleiben, in denen beispielsweise ein Vermittlungsgesuch eines Tierheims (Betreff: Kaninchen) neben der „Fleisch & Wurst“-Anzeige eines Lebensmittelhändlers (Betreff: Kaninchen) abgedruckt wird. Völlig unvorstellbar hingegen erscheint diese Konstellation, setzt man nur eine andere Nagetierart ein, etwa Hamster, Meerschweinchen oder Ratte.
Kaninchen dürfen ohne Sanktionen getötet und gegessen werden, dann aber auch wieder nicht: Vor einigen Jahren wurde ein Künstler zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er zwei Kaninchen vor Publikum getötet hatte. Zwar war nach Aussagen des Angeklagten von vorneherein geplant, die Kaninchen zu verspeisen, nach Ansicht des Gerichts handelte es sich dennoch um das Vergehen „des Tötens eines Wirbeltiers ohne vernünftigen Grund“ (§ 17 Nr. 1 TierSchG). Wie aus dem Urteil hervorgeht, war „[d]er Akt des Tötens dabei nicht dem späteren Verzehr untergeordnet, sondern stand im Vordergrund“. Es sei „ein Unterschied, ob ein Nutztier getötet, um es seiner Bestimmung zuzuführen oder ob ein solches Tier vor einem Publikum getötet wird, um durch den Akt des Tötens zu beeindrucken“.
Ich bin der Ansicht, dass wir das Recht auf Leben und Freiheit aller Kaninchen weder zu Zwecken der Kunst noch zu denen des kulinarischen Vergnügens ignorieren sollten. Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass es einem Kaninchen egal ist, ob es vor Publikum oder in der Abgeschiedenheit eines Schlachthauses ermordet wird, ob es sein Leben zur Fleischgewinnung verliert oder zur Inszenierung einer Kunstperformance.
Aus dem Urteil: „Einen sittlich verantwortungsvollen Umgang stellt ein Verhalten nicht dar, bei dem ein eigenständiges Lebewesen getötet wird, um durch den Tötungsakt das Publikum zu beeindrucken.“ Einen sittlich verantwortungsvollen Umgang stellt es hingegen sehr wohl dar, bei dem zehn Millionen eigenständige Lebewesen getötet werden, um mit dem Verkauf der Leichenteile noch mehr Geld zu verdienen.