Aus wissenschaftlicher Sicht spricht nichts für die Annahme, dass Pflanzen zu einem Schmerzempfinden, welches etwa dem eines Wirbeltiers ähnelt, in der Lage sind. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, bliebe der Veganismus aus ethischer Sicht die zu bevorzugende Lebensweise.
Nicht selten wird – mitunter als Ausflucht, um nichtvegane Gewohnheiten nicht aufgeben zu müssen – argumentiert, alles Leben sei empfindungsfähig, damit auch Pflanzen (und Pilze), es spiele somit keine Rolle, wen oder was wir äßen. Die Menschen, welche diese Haltung einnehmen, sind allerdings meist selbst nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass aus ethischer Sicht qualitativ nicht unterschieden werden muss zwischen der Enthauptung einer Kohlpflanze und der eines Hundes.
Szenario A –
Pflanzen sind empfindungsfähig
Lassen wir Naturwissenschaft und gesunden Menschenverstand vorerst einmal außen vor und nehmen um des Argumentes willen an, dass Pflanzen empfindungsfähig sind. Und nicht nur das, überspitzen wir das Ganze und gehen davon aus, dass Pflanzen die mit Abstand empfindungsfähigsten Lebewesen auf der Erde sind. Auch unter dieser Voraussetzung wäre der Veganismus die Lebensweise, mit der ein Maximum an unnötigem Leid vermieden wird. Dies folgt aus der einfachen Tatsache, dass Tiere „umgekehrte Proteinfabriken“ sind, welche ein Vielfaches an pflanzlichen Proteinen aufnehmen müssen, um die Proteine zu produzieren, welche in ihrem Gewebe und in ihren Körperflüssigkeiten enthalten sind. Hühner verzehren zwischen zwei- und viermal soviel Protein, wie sie produzieren, Schweine zwischen fünf- und siebenmal, Rinder zwischen neun- und dreizehnmal, jeweils abhängig vom Futtermittel und der Art der Gefangenhaltung.
Je mehr wir also um die Empfindungsfähigkeit von Pflanzen besorgt sind, desto weniger sollten wir zu der dramatischen Ineffizienz beitragen, welche die Verfütterung von Pflanzen an „Nutztiere“ bedeutet, und desto mehr Gründe haben wir, vegan zu werden und das Leid sowohl der Tiere als auch der Pflanzen zu verringern.
Szenario B –
Pflanzen sind nicht empfindungsfähig
Pflanzen sind vergleichsweise hochentwickelte und sehr komplexe Organismen, welche auf für uns verblüffende Weise auf ihre Umwelt reagieren können: Manche Pflanzen halten Insekten fern, indem sie abschreckende oder giftige Stoffe absondern. Einige setzen Chemikalien frei, die andere Pflanzen daran hindern, in ihrer unmittelbaren Nähe zu wachsen. Die Exemplare einzelner Arten verhalten sich bei der Wurzelentwicklung entweder aggressiv oder passiv, je nachdem, ob sie sich unter artgleichen oder -fremden Pflanzen befinden. Die Venusfliegenfalle fängt Insekten zwischen zwei Blatthälften, wenn diese mit winzigen Borsten auf der Blattoberfläche in Berührung kommen.
Verwirrung kommt dann auf, wenn angenommen wird, dass ein solches pflanzliches Verhalten bewusst infolge subjektiv empfundener Sinneswahrnehmungen ausgelöst wird und nicht durch gefühllose hormonale, elektrische, mechanische oder chemische Prozesse. Zum Vergleich sei hier das Immunsystem eines Säugetiers angeführt, welches analog zu vielen Pflanzen durchaus auf äußere Einflüsse reagieren kann, dies jedoch gänzlich ohne ein eigenes, erlebtes Empfinden.
Neurobiologen unterscheiden zwischen mehreren Bereichen unseres Nervensystems, welche dazu dienen, Empfindungen und komplexe Emotionen zu „generieren“ (Hirnstamm, limbisches System etc.). Alle Wirbeltiere und zumindest einige wirbellose Tiere verfügen über diese Bausteine des neuronalen Netzes und liefern damit schwerwiegende empirische Beweise dafür, dass solche Lebewesen empfindungsfähig sind, und dass die meisten von ihnen ein höchst subjektives, emotionales Dasein führen.
Pflanzen besitzen keinen dieser Bausteine. Sie übertragen Informationen mittels Phytohormonen (im Gegensatz zur Signalweiterleitung und -verarbeitung über Neuronen innerhalb eines Nervensystems). Computer verarbeiten Informationen mit Hilfe von integrierten Schaltkreisen auf einem Halbleitersubstrat. Weder von Hormonen noch von integrierten Schaltkreisen ist bekannt, dass sie in der Lage sind, subjektive Sinneserfahrungen zu erzeugen. Wenn beispielsweise der Touchscreen eines Mobiltelefons aktiviert wird, resultiert das „Verhalten“ des Telefons aus Programmabläufen, welche objektiv und unbewusst über die Schaltkreise ausgeführt werden. Das Telefon empfindet dabei nichts.