Menschen sind keine Fleischfresser im biologischen Sinn, benötigen also kein tierliches Gewebe, um zu überleben, und töten deshalb in aller Regel unnötigerweise. Im Laufe der ethisch-moralischen Entwicklung der Menschheit haben wir uns jedoch darauf geeinigt, ungerechtfertigte (weil nicht nötige) Gewalt nicht zu akzeptieren. Können wir diesen Grundsatz also einfach über Bord werfen, wenn es um unser Vergnügen oder unseren Profit geht?
Der Ausgangssatz entspricht ganz offensichtlich den Tatsachen. Beziehen wir uns damit jedoch auf unsere menschlichen Handlungsweisen und versuchen damit die unnötige, systematische Tötung anderer Tiere zur Nahrungsmittelgewinnung zu rechtfertigen, lassen sich gleich mehrere Einwände dagegen erheben, das Verhalten eines relativ kleinen Teils der uns bekannten Tierarten als moralische Richtschnur für unsere eigene Art der Ernährung anzuwenden.
Als Erstes ist festzustellen, dass die Angehörigen einiger Arten, sogenannte Karnivore (oder auch Fleischfresser), auf den Tod anderer Tiere angewiesen sind, weil sie ohne Fleisch als Nahrung nicht überleben können. In freier Wildbahn erfüllen sie damit eine wichtige Regulierungsfunktion, die das ökologische Gleichgewicht aufrecht erhält. Raubtiere haben hinsichtlich ihrer Nahrung nicht zuletzt aus physiologischen Gründen keine Wahl, Menschen können sich jedoch problemlos ohne Substanzen aus oder von anderen Tieren gesund ernähren, wie unzählige vegane Frauen, Männer und Kinder auf der ganzen Welt beweisen.
Zum Zweiten steht der Trugschluss, dass alles, was „natürlich“ ist, unweigerlich moralisch gut ist. Denn tatsächlich werden auch Hunde und Katzen Opfer von Raubtieren, und um konsistent zu bleiben, müssten wir einen Menschen, welcher den Hund von nebenan in Stücke reißt, um ihn anschließend zu essen, nicht nur gewähren lassen, sondern sogar als „völlig natürlich“ bezeichnen.
Drittens muss geklärt werden, warum andere typische Verhaltensweisen „wilder“ Tiere wiederum keinen moralischen Vorbildcharakter für menschliches Tun haben sollen: In Diskussionen über eventuelle Rechtfertigungen für Totschlag, Kannibalismus oder erzwungene sexuelle Handlungen tauchen nichtmenschliche Tiere als Referenz nicht auf. Auch gewaltsam durchgesetzter Territorialanspruch, Raub und sogar Mord an den eigenen Kindern lassen sich bei nichtmenschlichen Tieren beobachten, jedoch wird der Versuch, diese Beobachtungen als Rechtfertigung durchzusetzen, auf allen Ebenen scheitern, wenn eine solche Tat von einem zurechnungsfähigen, erwachsenen Menschen verübt wurde.
Wie bei unzähligen anderen Gelegenheiten wird bei der Behandlung dieser Frage ein weiterer doppelter Maßstab sichtbar, den wir anlegen, wenn wir unsere Nutzung nichtmenschlicher Tiere begründen: Wir Menschen sind eben auch „nur Tiere“ und „der Natur untergeordnet“, wenn unser Fleischkonsum legitimiert werden soll, wir stehen aber gleichzeitig über allen anderen Tieren und sind der Natur überlegen, geht es etwa um den Einsatz nichtmenschlicher Tiere zu Arbeits-, Unterhaltungs- oder Forschungszwecken, um das Trinken ihrer Milch, um das Tragen ihrer Haut und ihrer Haare oder um die Vernichtung derjenigen unter ihnen, welche wir als „Schädlinge“ kategorisiert haben.
Wir beteuern gerne, dass wir uns in moralischer Sache von den restlichen Tieren abheben, weil wir etwa unser Geschäft nicht im Vorgarten der Nachbarn verrichten, nicht mit dem Unterleib an den Beinen fremder Frauen reiben oder unsere Rivalen nicht einfach ins Ohr beißen. Warum lassen wir dann diese eine Ausnahme gelten und erklären scheinbar willkürlich, das Töten und Essen anderer Tiere sei durch Menschen akzeptabel, weil dies beispielsweise Katzen auch tun? Wir können unsere moralische Überlegenheit gegenüber anderen Arten nicht an den Stellen ausblenden, an denen es ausschließlich um unsen Genuss oder um unseren finanziellen Gewinn geht.
Erwachsene Menschen können sich entscheiden, ob für ihren Genuss bei Tisch Gewalt an Unschuldigen ausgeübt werden soll. Einige wenige Tiere haben keine andere Wahl als andere Tiere zu essen, jedoch wer von uns in einem Schlachthaus steht in dem Wissen, dass eine vegane Lebensweise möglich, wenn nicht sogar gesünder ist, wird das, was innerhalb dieser Wände passiert, schwerlich als moralisch vertretbar bezeichnen können.