„Die Nutzung von Tieren hat eine lange Tradition.“

Großes Messer auf Tischplatte

Wird das Argument der Tradition herangezogen, um eine bestimmte Praxis zu rechtfertigen, wird damit die Auffassung ausgedrückt, zum jetzigen Zeitpunkt sei praktisch alles erlaubt, was vorher nur lange genug durchgeführt worden ist. Durch die Angabe einer Zeitspanne erhält eine Praxis jedoch lediglich eine nähere Beschreibung, keine Begründung oder Rechtfertigung.

Seit Tausenden von Jahren nutzen Menschen Tiere für ihre eigenen Zwecke, daran lässt sich schwer zweifeln. Die Feststellung dieser Tatsache allein bietet jedoch nicht ausreichend Potenzial für eine Rechtfertigung der Tierausbeutung. Wir leben alle mit der Übereinkunft, dass es nicht richtig ist, unnötiges Leid zu verursachen, obwohl im Falle der „Nutztiere“ die meisten Menschen mehrmals täglich gegen diese Übereinkunft verstoßen. Wir müssen begründen können warum es legitim ist, Tiere für unser Vergnügen einzusperren und zu töten. Es genügt nicht, die zeitliche Dimension dieser Praktiken aufzuzeigen – damit liefern wir eine nähere Beschreibung, nicht aber ein moralisches Fundament.

Jede Form der Diskriminierung in der Geschichte der Menschheit wurde als „traditionell“ verteidigt. Die Ungleichbehandlung von Frauen oder menschliche Sklaverei hatten (oder haben) in den meisten Kulturkreisen Tradition. Tradition ist der Hauptgrund für die unfreiwillige Genitalverstümmelung bei Mädchen (verbreitet hauptsächlich im westlichen und nordöstlichen Afrika). Diese ist meist mit starken Schmerzen verbunden, kann zu schweren körperlichen und psychischen Schäden und nicht selten zum Tod führen, weshalb sich viele Menschenrechtsorganisationen für eine Beendigung dieser Praxis einsetzen und sie (neben vielen anderen) in den Ländern der Europäischen Union unter Strafe steht.

Die Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung lässt sich bis ins alte Ägypten zurückverfolgen. Aber was können wir daraus schließen? Dass ein grausames Verfahren schon sehr lange angewandt wird. Wir können jedoch nicht daraus folgern, dass das Verfahren moralisch akzeptabel ist, weil es schon sehr lange angewandt wird. Wer beispielsweise in Spanien die dort allseits beliebten Stierkämpfe kritisiert läuft Gefahr, von den Verteidigern dieser Institution lautstark darüber aufgeklärt zu werden, um welch lange und ehrenvolle Tradition es sich dabei handle. Doch was bedeutet das? Es bedeutet, dass Menschen schon seit langer Zeit Stiere quälen, und nicht mehr.