„Kühe geben ohnehin Milch, ob wir sie nun trinken oder nicht.“

Mehrere Kühe hinter Stacheldrahtzaun

Kühe geben dann Milch, wenn sie ein Junges ernähren müssen. Die Aktivität der Milchdrüsen der Säugetiere setzt während der Schwangerschaft ein und lässt je nach Spezies und Beanspruchung über Monate hinweg kontinuierlich nach. Die Gattungsgruppe der Rinder bildet damit unter den rund 5400 bekannten Säugetierarten keine Ausnahme.

Um ein Kalb nach der Geburt ausreichend ernähren zu können, muss eine Kuh etwa acht Liter Milch pro Tag produzieren. Hochgerechnet auf 305 Tage (die durchschnittliche Zeitspanne, in der eine moderne „Milchkuh“ pro Jahr gemolken wird), ergeben sich daraus knapp 2500 Liter beziehungsweise 2550 Kilogramm Milch. Diesen gegenüber stehen die 6977 Kilogramm, welche eine in Deutschland registrierte „Milchkuh“ im Jahr 2009 durchschnittlich produzierte. 14 Jahre früher belief sich dieser Durchschnitt noch auf 5424 Kilogramm¹, Anfang der 1980er-Jahre immerhin bereits auf 4300 Kilogramm. Die so genannte jährliche Milchleistung pro Kuh wurde während der letzten hundert Jahre nahezu verzehnfacht. Im Jahr 2010 wurden allein von den „Milchkühen“ in deutschen Betrieben 29,6 Millionen Tonnen Milch produziert, das entspricht 29 Milliarden Litern.²

Ist diese Menge tatsächlich nur „natürlicher Überschuss“, der aufgefangen wird, nachdem sich die Kälber sattgetrunken haben, und hat sich dieser Überschuss in den letzten vierzig Jahren einfach auf „natürliche“ Weise verdoppelt? Selbstverständlich nicht. Damit wir Menschen die Muttermilch von Rindern trinken können – und das in Mengen und zu Preisen, welche wir gewohnt sind – müssen mehrere Bedingungen erfüllt werden:

  • Kein Kilogramm Milch darf an die Kälber „verschwendet“ werden. Obwohl sie diejenigen sind, für welche die Mütter die perfekt auf neugeborene Rinder abgestimmte Säuglingsnahrung produzieren, und diejenigen, ohne deren Existenz der Körper ihrer Mutter überhaupt erst gar keine Milch herstellen würde, bekommt das Kalb nur das Allernötigste – Kolostral-, Biest- oder Erstmilch genannt – nur in den ersten Tagen, und meist nur aus einem Eimer. Das Neugeborene verbleibt äußerst selten länger als einen Tag bei seiner Mutter, und spätestens ab dem fünften Tag nach der Geburt nimmt sich der Mensch wieder die gesamte Milchmenge für sich selbst. Das Kalb bekommt eine Muttermilchsubstitut aus Wasser und Milchpulver, im Fall der so genannten restriktiven Fütterung wird außerdem willentlich ein Hungergefühl erzeugt, dass das Kalb animieren soll, möglichst schnell mit der Aufnahme von festem Futter zu beginnen.
  • Eine „Milchkuh“ darf nicht nur während der artgemäßen Säugephase Milch geben. Sie muss länger Milch liefern, und zwar so viel wie möglich, ohne jedoch überbeansprucht und damit für weitere Jahre der Produktion „untauglich“ zu werden. Daraus ergibt sich die durchschnittliche Zahl von 305 Tagen, an welchen sie – in der Regel zweimal täglich – gemolken wird.
  • Um die kurze Lebensdauer, die einer „Milchkuh“ zugestanden wird, „optimal“ zu nutzen, wird sie so früh wie möglich, meist im Alter zwischen 15 und 23 Monaten, zum ersten Mal befruchtet. Nach neun Monaten Schwangerschaft sind ihre Milchdrüsen ungefähr sechs Wochen nach der Geburt auf ihrem „Leistungshoch“, danach sinkt die Menge der täglich zur Verfügung stehenden Milch langsam wieder ab. Innerhalb der nächsten Wochen muss die junge Mutter wieder – gemäß der üblichen Praxis künstlich, also von Menschenhand – befruchtet werden. Erst sechs bis acht Wochen vor der nächsten Geburt wird der Kuh eine Erholungspause gegönnt, damit das Eutergewebe regeneriert in die nächste Laktationsphase gehen kann. Dieser Zyklus wiederholt sich üblicherweise drei bis vier Mal, bis sie aufgrund der Dauerbelastung nicht mehr genug Milch geben kann, um ihre Existenz zu rechtfertigen, oder (was wahrscheinlicher ist) bis sie – fast ausnahmslos infolge der Dauerbelastung – wegen zu weit fortgeschrittenen Klauenerkrankungen, Euterentzündungen oder Fruchtbarkeitsstörungen zu ihrer Ermordung ins Schlachthaus gebracht wird.
  • Schließlich wäre es nicht möglich, Milch und Milchprodukte zu ökonomisch sinnvollen Konditionen bereitzustellen, wenn die Rinder in den Erzeugungsbetrieben der industrialisierten Länder nicht drastischen Manipulationen unterzogen würden. Dazu zählen etwa Veränderungen des Erbgutes, die Heranzüchtung immer „leistungsfähigerer“ Zuchtlinien, die Verabreichung produktionssteigernder Hormone sowie die Verfütterung von äußerst nährstoffreichem Kraft- und Ergänzungsfutter.

In Wirklichkeit müssen Kühe also – wie alle Säugetiere – ständig schwanger sein, um ständig Milch zu geben; die „hochspezialisierte Turbokuh“ in einer vollautomatisierten Melkanlage ebenso wie die „artgerecht gehaltene“ „Bio-Kuh“ auf einer grünen Alm.