Obwohl wir gelernt haben, dass wir nur über Milch und Milchprodukte genug Calcium erhalten, damit unsere Knochen und Zähne gesund und belastungsfähig bleiben, lässt sich diese Behauptung nicht mehr aufrechterhalten. Kurz gesagt: Um uns mit ausreichenden Mengen Calcium zu versorgen, benötigen wir keine Milch, sondern Calcium.
Unbestritten ist, dass Rindermilch eine äußerst nährstoffreiche Flüssigkeit ist, die vergleichsweise viel Calcium enthält, schließlich muss sie vorerst als alleinige Nahrung für ein schnell wachsendes Kalb dienen. Allerdings wird dieses Calcium nicht im Körper der Kuh synthetisiert: Sie nimmt es über die Nahrung zu sich, und diese besteht – zumindest bei in Freiheit lebenden Rindern – ausschließlich aus Pflanzen. Weil jedoch diejenigen Kühe, die wir als „Milchvieh“ benutzen, nicht mehr ihre Kälber, sondern unsere Kühlregale füllen sollen und deshalb enorm große Mengen Milch produzieren, muss das Calcium, welches später die Milch so „gesund“ macht, ihrem Futter zusätzlich beigemischt werden. Auch viele andere ausgewachsene Säugetiere mit noch höherem Calciumbedarf als Menschen (wie Gorillas oder Elefanten) können diesen offensichtlich problemlos decken, ohne auf Muttermilch angewiesen zu sein.
Viel direkter als über die Milchdrüsen von Rindern und zweifellos ausreichend lässt sich auch unser Bedarf an Calcium aus pflanzlichen Quellen decken. Relativ viel davon ist enthalten in Mohn, Sesam, Mandeln, Haselnüssen, Paranüssen, Amarant, Grünkohl, Rhabarber, Broccoli, Fenchel, Lauch, Orangen, Petersilie, Rucola, Chinakohl, Spinat, roten und weißen Bohnen, Hagebutten, getrockneten Feigen und Tempeh. Auch mit Calcium angereicherte Pflanzenmilch und calciumreiches Mineralwasser können zur optimalen Versorgung beitragen. Um die Aufnahmefähigkeit zu maximieren benötigt der Körper allerdings Vitamin D, das durch Sonneneinstrahlung auf die Haut gebildet wird oder in den Wintermonaten durch Supplemente und angereicherte Nahrungsmittel zugeführt werden kann.
In Ländern mit hohem Milch- und Fleischkonsum sind die empfohlenen täglichen Verzehrmengen vergleichsweise hoch angesetzt: Für Erwachsene werden in Deutschland¹ und in den USA² 1000 Milligramm angeraten, während in asiatischen Ländern mit traditionell geringem Milchkonsum deutlich weniger Calcium empfohlen wird, 600 Milligramm sind es beispielsweise in Japan³ und Korea⁴. Dies kann – die Unterschiede bei der durchschnittlichen Körpergröße und dem Gewicht herausgerechnet – einerseits als Hinweis darauf verstanden werden, dass sich Ernährungsexperten über den tatsächlichen Bedarf keineswegs einig sind. Andererseits ist es ebenso möglich, dass sich die Empfehlungen nach dem Angebot auf dem Markt richten (in Deutschland etwa wird seit Jahrzehnten mehr Milch produziert als gekauft), oder dass ein hoher Konsum von Milchprodukten die Aufnahmefähigkeit beeinträchtigt und dadurch einen gesteigerten Calciumbedarf zur Folge hat.